Er ist seit September 2018 Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung: der 36-jährige Jan Philipp Albrecht. Der von Medien gerne als „Ringelshirt-Minister“ bezeichnete Grünen-Politiker erscheint zum KIELerleben-Interview nach einer Landtagssitzung in schwarzem Anzug und weißem Hemd. Nach einer Stunde Gespräch steht fest: Dieser Mann schätzt das Leben in Kiel, liebt seine Unabhängigkeit und ist gerne etwas verrückt.
KIELerleben: Herr Albrecht, Sie leben seit einem Dreivierteljahr mit Ihrer Familie in Kiel. Zuvor waren Sie neun Jahre Abgeordneter im Europaparlament und hatten Ihre Wohnung in der EU-Hauptstadt Brüssel. Wie fühlt es sich an, in Kiel zu leben?
Jan Philipp Albrecht: Es fühlt sich gut an! Meine Familie und ich leben gerne in Kiel. Und die Umstellung fiel uns relativ leicht – zumal Kiel in den vergangenen zehn Jahren auch spürbar internationaler geworden ist. Ich weiß noch, wie ich an einem meiner ersten Tage ins RESTEZ! am Wilhelmplatz gegangen bin, um Brot zu kaufen und auf Französisch begrüßt wurde. Das hat mich ebenso gefreut wie die Tatsache, dass es in Kiel, genau wie in Brüssel, eine französisch geprägte Bäckerkultur gibt.
Sie besitzen neben der deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft, richtig?
Das stimmt. Meine Großmutter stammt aus der Region Bordeaux. Während des Zweiten Weltkrieges musste sie dann fliehen und hat nach dem Krieg in der Schweiz meinen deutschen Großvater kennengelernt. Solche Geschichten in der eigenen Familie zu haben, finde ich spannend. Meine Mutter ist in Deutschland geboren.
"Mittlerweile gibt es ja auch einige Winzer in Schleswig-Holstein, die ganz passablen Wein produzieren. Ich muss das wissen, ich bin ja auch Weinbau-Minister."
Was ist Ihre französische Seite?
(überlegt) Das Leben so zu nehmen, wie es ist und es immer wieder zu genießen. Diese Einstellung ist mir schon recht nah.
Wenn wir schon bei Klischees sind: Trinken Sie gerne Wein?
(lacht) Ich trinke gerne ein Glas Rotwein. Aber nicht nur französischen. Es gibt einige Weine, die mir gefallen, ich lasse mir aber auch gerne etwas empfehlen. Mittlerweile gibt es ja auch einige Winzer in Schleswig-Holstein, die ganz passablen Wein produzieren. Ich muss das wissen, ich bin ja auch Weinbau-Minister (lacht).
Und welche kulinarischen Vorlieben haben Sie?
Ach, ich esse alles. Aber Fisch mag ich besonders. Und Rote Bete. Einmal die Woche bekommen wir eine Kiste mit Gemüse von Bauern aus der Region. Aber gerne kaufe ich auch auf dem Wochenmarkt ein. Allerdings komme ich dazu kaum. Wenn ich keine Termine habe, koche ich am Wochenende ganz gerne.
Und in welchen Kieler Cafés und Restaurants trifft man Sie?
Wenn es mein Terminkalender zulässt, gehe ich gerne ins Blé Noir am Blücherplatz, trinke Kaffee und esse Galettes. Leckeren Kuchen gibt es im Blattgold, richtig gutes Essen im neuen WeinStein. Und cool finde ich das Restaurant LAGOM an der Kiellinie, wo man sehr entspannt sitzen kann. So viel kann ich nach einem Dreivierteljahr schon sagen: In Kiel gibt es viele Locations, wo man für kleines Geld gut essen kann.
Und Ihre Lieblingsecken der Landeshauptstadt?
Der Blücherplatz mit Wochenmarkt, die Kiellinie, überhaupt die Förde. Im Sommer bin ich mit meiner Familie gerne an einem der Strände am Ostufer. Aber ich freue mich auch immer wieder, wenn ich morgens mal zu Fuß ins Ministerium gehen kann. Es gibt auf dem Weg viele grüne Streifen, die mir einfach gefallen.
Was mögen Sie an Ihrem Job als Minister?
Dass ich viele Menschen in ihrer beruflichen oder auch privaten Umgebung kennenlerne, am Meer, auf dem Land, in Stadtteilen. Ich komme ja viel rum in Schleswig-Holstein und kann mir so ein unmittelbares Bild davon machen, was die Menschen bewegt. Das ist wichtig, besonders für einen Politiker.
Kurz vor Ihrem Start als Minister sind Sie von vielen für die Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gescholten worden. Schließlich waren Sie es, der das europaweite Regelwerk maßgeblich konzipiert hatte. Wie fällt Ihr Fazit aus, ein Jahr nach der Einführung?
Die DSGVO ist eine Zumutung. Das ist mir klar. Ich würde mir allerdings wünschen, dass noch mehr Menschen erkennen: Diese Zumutung ist notwendig. Denn eigentlich haben wir doch alle den Anspruch, gefragt zu werden, was mit unseren persönlichen Daten geschieht. Persönliche Informationen sollen bei dem Unternehmen bleiben, das sie von uns bekommen hat und das sie nach kurzer Zeit wieder löscht. Wenn wir in globalen Zusammenhängen denken, dann fällt auf, dass bisher weder die USA noch China vergleichbare Normen vorzuweisen haben und dass das EU-Gesetz sich zu einem weltweiten Standard entwickeln könnte. Sogar Amazon, Facebook und Google setzen die DSGVO um.
Als Minister sind sie auch zuständig für Digitalisierung. Wo liegen hier die Herausforderungen in den nächsten Jahren?
Wichtig ist, dass wir die Digitalisierung aktiv gestalten. Dazu gehören der freie Zugang zum Netz für alle ebenso wie der Schutz unserer Daten sowie eine innovative Wirtschaft und Verwaltung, die sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Grundsätzen auch in einem dynamischen grenzübergreifenden Markt gerecht werden. Chancen: Transaktionstechnologien können dabei helfen, die Herausforderung begrenzter Netzkapazitäten besser in den Griff zu kriegen.
In der Landwirtschaft kann Digitalisierung dazu beitragen, Düngemittel gezielter einzusetzen und damit dem Gewässerschutz zu dienen. Die Aussaat, um ein letztes Beispiel zu nennen, kann mit selbst fahrenden Traktoren via GPS optimiert werden.
Apropos optimieren: Reiten Sie selbst auf der Welle der Selbstoptimierung?
(lacht) Nein. Ich messe meine Leistung nicht permanent, mache mich daher auch nicht abhängig von diesem Trend. Diese Anwendungen berücksichtigen ja immer nur einen Teil unserer Leistungsfähigkeit. Das greift zu kurz. Ich versuche, gesund zu leben und mache mir lieber selbst meine Gedanken, wie ich etwas besser werden kann. Aber dennoch kann ich auch die verstehen, die zum Beispiel Apps nutzen, um festzustellen, ob man am Abend seine definierten Ziele erreicht hat oder ob der Blutdruck in Ordnung ist.
Das Blut in Wallungen gebracht hat bei Manchem im Land auch Ihre Entscheidung, Tiertransporte in Länder außerhalb der EU zu verbieten. Ihnen ist in diesem Zusammenhang überstürztes Handeln vorgeworfen worden. Was hat zu Ihrer Entscheidung geführt?
Wir haben im April 2018 bei der Agrarministerkonferenz einen Antrag eingebracht, der von allen Ländern verabschiedet wurde und der dieses Thema an den Bund adressiert hat. Es ging darum, die Bedingungen bei Tiertransporten auf Langstrecken zu verbessern. Doch seither ist vom Bund aus nichts passiert. Vor einigen Wochen stand dann zudem der Fall im Raum, dass Kreisveterinäre, die einen nicht-tierwohlgerechten Transport in Länder außerhalb der EU genehmigen, sich der Beihilfe zur Tierquälerei strafbar machen könnten. Deswegen habe ich beschlossen, zunächst vier Wochen lang keine Transporte zu genehmigen, um die Veterinäre in Schutz zu nehmen und eine eindeutige bundesweite Rechtsgrundlage voranzutreiben.
Ein weiterer Beschluss von Ihnen betrifft den Wolf, der im Kreis Pinneberg und Steinburg unterwegs ist. Sie haben ihn zum Abschuss freigegeben, was viele Gemüter erregt. Können sie diese Aufregung verstehen?
Ja. Doch dieser eine Wolf hat viele Schafe gerissen, die hinter vermeintlich sicheren Zäunen standen. Und wenn ein Wolf solche Hindernisse überwindet, dann ist die friedliche Koexistenz zwischen Wolf und Mensch in Gefahr. Insofern dient die Entscheidung, ihn zum Abschuss freizugeben, eben der Sicherung dieser Koexistenz. Wir wollen, dass der Wolf weiterhin geschützt ist und auch hier heimisch wird. Doch ein Wolf lernt schnell und gibt sein Wissen an seine Nachfahren weiter. Die jagen dann keine Rehe, sondern spezialisieren sich darauf, Schafe zu reißen. Die anderen Wölfe im Land zeigen ein anderes Verhalten.
Was manche Menschen in Kiel und im Land bewegt, ist die zukünftige Lagerung von Atommüll. Sie sind als Minister verantwortlich für den Atomausstieg. Wie ist dazu der aktuelle Stand?
Fakt ist, Brunsbüttel wird abgeschaltet und die Stilllegungsgenehmigung ist eine der besten, die wir in Deutschland verabschiedet haben. Zur Lagerung des Atommülls haben wir einen intensiven Dialog mit allen beteiligten Kreisen geführt. Wir sind da meiner Einschätzung nach auf einem guten Weg, dass wir Orte finden, wo der Müll sicher gelagert wird. Ich kann jeden verstehen, der bei diesem Thema Bedenken hat. Doch die frei gemessenen Teile haben einen so niedrigen Strahlungswert, der unter vielem liegt, was uns im Alltag begegnet. Wir legen strengste Kriterien an. Niemand muss besorgt sein, dass da irgendetwas schlecht verklappt wird.
Am Kieler Theodor-Heuss-Ring ist die Schadstoffbelastung hoch. Sie sind nach wie vor gegen ein Fahrverbot auf dieser Straße?
Ja, zumal die Stadt dabei ist, eine Vielzahl an Maßnahmen umzusetzen, um den hohen Schadstoffausstoß zu verringern und die von der EU vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten. Diese Aktivitäten werden wir auch für den Entwurf eines Luftreinhalteplans für die Stadt Kiel berücksichtigen. Für die Anwohner darf es kein Gesundheitsrisiko geben. Doch unser Ziel sollte sein, die Grenzwerte einzuhalten, ohne dass ein Durchfahrverbot erlassen werden muss.
Durch was sind Sie eigentlich politisiert worden?
Ich habe bei unserer Schülerzeitung mitgemacht und über vieles geschrieben, was uns an der Schule bewegt hat. Es war damals eine sehr politische Schulzeit, es gab zum Beispiel eine Tschernobyl-Initiative, die für die Opfer Geld gesammelt hat, oder eine Friedensinitiative zum Kosovo-Krieg. Wiederum eine andere organisierte eine Anti-Rechts-Lichterkette.
Diese Initiativen fand ich spannend – und die Leidenschaft, mit der sich Schüler dort engagierten, hat mich beeindruckt. Deswegen habe ich begonnen, mich ebenfalls zu engagieren. Und da in diesen Projekten auch viele Grüne waren, bin ich in die Partei eingetreten.
Im letzten Jahr haben sie ihr zweites juristisches Staatsexamen abgelegt. Was waren die Beweggründe dafür, dass Sie als Berufspolitiker diese Prüfung absolvieren wollten?
Ich habe mir von Anfang an gesagt: Politik ist eine Berufung auf Zeit und kein Beruf. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die keine andere Perspektive hatten außer eben der Politik, enorm abhängig sein können. Ich schätze aber meine Unabhängigkeit – von der Politik ebenso wie von der Partei. Deswegen habe ich auch als Europa-Parlamentarier in meiner Freizeit noch meine Referendariats-Stationen ab-solviert. Am Ende habe ich es tatsächlich geschafft und das Examen bestanden. Ich verstehe zwar noch immer nicht, wie das geklappt hat, bin aber sehr froh darüber. (lacht)
Was hat neben der Politik Bedeutung für Sie?
Meine Familie. Sie bringt mir unglaublich viel, holt mich immer wieder auf den Boden der Realität zurück. Kinder haben ja ihre eigenen Perspektiven. Und die helfen dabei, Dinge zu relativieren und meinen eigenen Horizont zu finden. Aber ein Ministeramt und Familie zu vereinbaren ist nicht immer leicht. Es gibt zu viele Politiker, die nur noch das politische Geschäft im Blick haben. Und das tut nicht gut.
Kommen Sie neben Ihrer Ministertätigkeit und dem Familienleben noch zu Hobbys?
Wenig. Ich höre gerne Musik und lese auch ganz gerne. Das Programm des Schleswig-Holstein Musik Festival finde ich zum Beispiel klasse. Und ich tanze gerne zu Elektro. Zu Hause höre ich allerdings eher Alternative oder Indie-Rock, auch Jazz bis hin zu Punk-Musik. Die lauten Lieder werden allerdings seltener. Lieblingsbands sind zum Beispiel Boys sets fire oder Death Cab for Cutie.
Und was lesen Sie, wenn Sie zum Lesen kommen?
Da ich berufsbedingt viele Fachbücher lese, liebe ich es in der Freizeit, wenn man mir Geschichten erzählt, die mich mitreißen und zum Denken motivieren. Der Roman Circle von Dave Eggers zum Beispiel oder die Bücher von Julie Zeh.
Haben Sie ein Lebensmotto?
(überlegt) Ach, es gibt einige Sätze, die wichtig für mein Leben sind. Aber eigentlich ist es ein ganz kurzer, der mir am meisten entgegenkommt.
Und der ist?
(lacht) Einmal verrückt sein
Das Interview führte Michael Fischer