- Mandolinen-Virtuose Avi Avital ist Stammgast beim Schleswig-Holstein Musik Festival. (Bild: Agentur 54° Felix König)
- Nil Venditti führte das Orchester mit großer Leichtigkeit und schlug auch das Publikum in ihren Bann. (Bild: Agentur 54° Felix König)
- Stehende Ovationen gab es für Fazıl Say, Nil Venditti, Avi Avital und das hervorragende Orchester. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Avi Avital und das Festivalorchester begeisterten am Samstagabend im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival auf der NordArt mit Bach, Say und einem Konzertabend voller Spielfreude
Ein lauer Sommerabend auf dem weitläufigen Gelände der NordArt in Rendsburg-Büdelsdorf, das als einer der eindrucksvollsten Schauplätze des Schleswig-Holstein Musik Festival gilt. Zwischen monumentalen Skulpturen und Industriehallen erfüllte am Samstag klassische Musik die Luft – dargeboten von keinem Geringeren als Mandolinenvirtuose Avi Avital, begleitet vom Schleswig-Holstein Festival Orchester unter der Leitung von Nil Venditti. Auf dem Programm: ein barocker Klassiker in ungewohnter Besetzung, eine spektakuläre Uraufführung und zum Abschluss eine farbenreiche Sinfonie. Es wurde ein Abend, den man so schnell nicht vergisst.
Barock mit Mandoline – Bach neu gehört
Eröffnet wurde das Konzert mit Johann Sebastian Bachs Konzert in d-Moll BWV 1052 – im Original ein Cembalokonzert, hier aber in einer Version für Mandoline und Streichorchester, die sofort fesselte. Dass dieses Werk auf der Mandoline so überzeugend funktioniert, ist in erster Linie Avi Avital zu verdanken. Er zählt zu den ganz wenigen Musikern weltweit, die die Mandoline nicht nur technisch bis ins letzte Detail beherrschen, sondern ihr auch eine neue künstlerische Rolle im Konzertleben verschaffen. Sein Spiel: pointiert, federnd, voller klanglicher Finesse – und dabei immer ausdrucksstark. Schon in den ersten Takten wurde klar: Diese Interpretation war kein kurioses Experiment, sondern eine künstlerische Neuschreibung.
Uraufführung mit Mission
Der Höhepunkt des Abends folgte direkt im Anschluss: die Weltpremiere von Fazıl Says Mandolinenkonzert, das der diesjährige SHMF-Porträtkünstler eigens für Avi Avital komponiert hat. Say, selbst Pianist und Komponist von internationalem Rang, war anwesend und erklärte vor Konzertbeginn dem Publikum persönlich, was ihn bei der Arbeit an diesem Werk bewegte – ein guter Zug, denn die vier Sätze des Konzerts erschlossen sich dadurch dem gesamten Publikum umso besser.
Avital, der sich seit Jahren über das geringe Repertoire für sein Instrument beklagt, hat mit dieser Auftragskomposition ein Werk erhalten, das die Mandoline aus der folkloristischen Nische herauskatapultiert. Das Werk, für ihn geschrieben und von ihm mit der ihm eigenen Intensität uraufgeführt, wurde zum Opus 111 in Avitals eindrucksvoller Liste von Uraufführungen – eine beinahe irre Zahl, die zeigt, wie missionarisch dieser Musiker unterwegs ist. Die vier Sätze des Konzerts führten die Mandoline durch lyrische, rhythmisch vertrackte, tänzerische und eruptiv-virtuose Passagen. Mal schien sie das Orchester zu führen, mal darin zu verschwinden, um kurz darauf wieder hervorzutreten. Avital war in seinem Element – und das Orchester folgte ihm aufmerksam und mitreißend.
Istanbul für Orchester – und für drei außergewöhnliche Solist:innen
Nach der Pause übernahm das Festivalorchester ganz die Bühne – mit Fazıl Says Sinfonie Nr. 1 op. 28, der „Istanbul Sinfonie“. Das Werk ist eine musikalische Hommage an die vibrierende Metropole am Bosporus und verbindet westliches sinfonisches Denken mit traditionell anatolischen Klangfarben. Dafür hatte Say prominente Verstärkung mitgebracht: Burcu Karadağ an der Nay-Flöte, Hakan Güngör am Kanun – einer Art orientalischer Zither – und Aykut Köselerli als zusätzlichen Schlagwerker sorgten für authentische Farben und rhythmische Tiefe. Die Sinfonie brodelte vor Energie, changierte zwischen schillernden Klangflächen, folkloristischen Motiven und dramatischen Ausbrüchen. In jedem Takt spürte man Says tiefe Verbundenheit zu seiner Heimat – und zugleich seine meisterhafte Fähigkeit, diese Gefühle in Musik zu gießen, die über alle kulturellen Grenzen hinweg funktioniert.
Ein Orchester als Botschaft
So sehr die Solist:innen dieses Abends glänzten – ein großer Teil der Magie ging vom Schleswig-Holstein Festival Orchester selbst aus. Dieses Ensemble, in jedem Sommer neu zusammengesetzt aus über 100 jungen Musiker:innen aus rund 30 Nationen, war eine Klasse für sich. Unter dem Motto „Let’s make music as friends“ steht hier nicht nur musikalische Exzellenz, sondern auch Völkerverständigung im Mittelpunkt – und das spürte man in jedem Ton. Mitreißende Dynamik, glänzende Präzision, eine Leidenschaft, die über das rein Handwerkliche hinausging: Dieses Orchester spielte mit Herz, Kopf und Seele. Und es spielte miteinander – kein Nebeneinander, kein Gegeneinander, sondern echtes Zusammenspiel.
Nil Venditti führte das Orchester mit großer Leichtigkeit und schlug auch das Publikum in ihren Bann. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Dirigentin mit Ausstrahlung: Nil Venditti
Ein Ensemble in dieser Konstellation auf Konzertniveau zu bringen, verlangt nach einer starken Führungspersönlichkeit. Die fand sich in Nil Venditti, die das gesamte Programm mit Klarheit, Energie und feinem Gespür dirigierte. Ihre Körpersprache war präzise und kommunikativ, ihr Zugriff auf die Musik jederzeit überzeugend. Das Publikum konnte ihr quasi beim Denken zusehen – und das Orchester reagierte prompt. Dass sie sich vor der abschließenden Zugabe mit herzlichen Worten an das Orchester wandte und deren Einsatz würdigte, machte sie noch sympathischer.
Stehende Ovationen gab es für Fazıl Say, Nil Venditti, Avi Avital und das hervorragende Orchester. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Ein Abend, der lange nachklingt
Am Ende gab es stehende Ovationen – und das völlig zu Recht. Dieses Konzert war mehr als nur ein Festivalabend. Es war ein eindrucksvolles Plädoyer für musikalische Neugier, für interkulturelle Verständigung und für das ungebrochene Potenzial eines Instruments, das viele lange unterschätzt haben. Avi Avital hat das Publikum nicht nur verzaubert, sondern gezeigt, was künstlerische Vision vermag. Fazıl Say hat ein Werk beigesteuert, das bleiben wird. Und das Festivalorchester war der lebendige Beweis dafür, dass Musik auch im 21. Jahrhundert ein universelles Band knüpfen kann – von Istanbul bis in den hohen Norden.