- Bevor Bettina Frommann mit ihrer Arbeit im tansanischen Moshi beginnen konnte, musste sie den Teilnehmern zunächst die Angst vor dem Wasser nehmen (Bild: Lothar Tubbesting)
- Mit Schwimmnudeln erklärt Frommann verschiedene Schwimmstile (Bild: Lothar Tubbesting)
- Weitsicht: Am Fuße des Kilimandscharo durfte Bettina Frommann Aufklärungsarbeit und Hilfe zur Selbsthilfe im Auftrag des SES leisten (Bild: Bettina Frommann)
- Bekanntschaft mit dem Wasser: Mit Strohhalmen und Tischtennisbällen wurde die Neugier der Teilnehmer geweckt (Bild: Bettina Frommann)
- Für ihren Einsatz in Tansania konnte Bettina Frommann einige Lehrmittel aus Kiel mitnehmen, andere Materialien wie Schwimmnudeln oder Kunststoffbretter kaufte sie in einem Geschäft in der Nachbarstadt Moshis
(Bild: Lothar Tubbesting)
- Während ihres Einsatzes für den SES in Tansania durfte Bettina Frommann an einer besonderen Zeremonie des indigenen Volkes der Massai teilnehmen. Nur alle 20 Jahre findet diese am Fuße des Kilimandscharo statt (Bild: Lothar Tubbesting)
Erfahrungen im Ausland sammeln und von anderen Kulturen lernen – viele reisen vor allem in Schwellenländer, um sich selbst zu bereichern. Der Senior Experten Service (SES) hingegen entsendet Menschen mit einem gemeinnützigen Auftrag in die Welt.
Täglich schwappt Bettina Frommann das chlorhaltige Wasser zwischen die Zehen, während sie am Beckenrand des beheizten Schwimmbeckens im Sportforum der Christian-Albrechts-Universität steht. Ein Arsenal an Schwimmmaterialien wie Schwimmnudeln, Kunststoffbretter, Pull Buoys und wasserfesten Arbeitskarten im DIN A4-Format mit zahlreichen Abbildungen zu Details der einzelnen Schwimmstile oder zur korrekten Wasserlage liegen an der Seite der Halle.
Bettina Frommann ist Dozentin am Institut für Sportwissenschaft der CAU. In Sporthallen und Seminarräumen bildet sie normalerweise Studierende des Bachelorstudiengangs Sportwissenschaft vor allem in den Sportarten Schwimmen und Badminton aus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlungskompetenz von Schwimmunterricht an Schulen. Künftige Sportlehrkräfte erwerben eigene schwimmerische Kompetenz, um diese auf Basis der persönlichen Körpererfahrungen zusammen mit dem erworbenen Wissen um didaktisches und methodisches Handeln an Schüler und Schülerinnen weiterzugeben. Das bedeutet: Die Studierenden lernen Methoden kennen, wie Schwimmunterricht niederschwellig und mit Freude gestaltet werden kann. Dazu müssen sie sich auch mit Ängsten der Schwimmanfänger auseinandersetzen. „Es geht um das Kennenlernen des eigenen Körpergefühls im dreidimensionalen, nahezu schwerelosen Raum“, sagt die Sportdozentin. Dass sie diese Arbeit einmal in Moshi, einer tansanischen Stadt am Fuße des Kilimandscharo tun würde, hätte sie vor einigen Jahren nicht gedacht.
Weitsicht: Am Fuße des Kilimandscharo durfte Bettina Frommann Aufklärungsarbeit und Hilfe zur Selbsthilfe im Auftrag des SES leisten (Bild: Bettina Frommann)
Als sie vor zwei Jahren in einem Artikel der Kieler Nachrichten von der Stiftung des Senior Experten Service (SES) erfahren hat, informierte sie sich über die Zugangsvoraussetzungen, Möglichkeiten und Chancen, welche der Dienst bietet. Seit 1983 fördert der SES den ehrenamtlichen Know-how-Transfer. Rund um den Globus geben seine Experten mit ihrem Fachwissen und ihrer Berufserfahrung Hilfe zur Selbsthilfe. Die Idee: Ruheständler unterstützen mit ihrer Expertise kleine und mittlere Unternehmen, Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens, öffentliche Verwaltungen oder auch gemeinnützige Organisationen – immer auf Nachfrage und immer auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten. Die Einsätze finden immer in Entwicklungs- und Schwellenländern statt, aber auch in Deutschland, wo sie vor allem dem Fachkräftenachwuchs zugutekommen.
Es klingt nach einer fast zu romantischen Vorstellung, um wirklich wahr zu sein. Den wohlverdienten Ruhestand und die damit verbundene freie Lebenszeit nutzen, um in die entlegensten Gegenden ferner Länder zu reisen und nebenbei auch noch Gutes tun. 2018 hat der SES über 2.000 Einsätze in 93 Ländern außerhalb Deutschlands durchgeführt. Jeden Monat wurden somit im Schnitt 170 Expertinnen und Experten entsandt. In Kiel sind es aktuell 31 registrierte Experten.
Mit Schwimmnudeln erklärt Frommann verschiedene Schwimmstile (Bild: Lothar Tubbesting)
Die junge Sparte des SES
Der Weltdienst 30+ ist seit 2017 die junge Sparte des SES. Insgesamt haben 241 Einsätze berufstätiger Ehrenämtler im Jahr 2018 stattgefunden. Der Dienst gibt Berufstätigen der Altersgruppe 30+ die Möglichkeit, ihr Fachwissen in Entwicklungs- und Schwellenländern weiterzugeben. Die Initiative fördert das ehrenamtliche Engagement der mittleren Generation und wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt. Registrieren kann sich für den Weltdienst jeder, der mindestens 8 Jahre relevante Berufserfahrung gesammelt hat, zeitlich flexibel ist und die nötige sprachliche und kulturelle Kompetenz sowie die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement im Ausland mitbringt. Darüber hinaus bedarf es natürlich der Freistellung des Arbeitsgebers.
Für Bettina Frommann ergab sich durch ein Sabbatjahr die Gelegenheit, sich in den Dienst des SES bzw. des Weltdiensts 30+ zu stellen. Denn im Pensionsalter ist sie noch lange nicht. Sie machte sich mit den Bedingungen des Ehrenamts beim SES vertraut und sendete das nötige Formular zur Registrierung an die Zentrale des Dienstes nach Bonn.
Engagement aus Kiel
Schon wenige Monate später erhielt sie die Zusage für einen Auslandsaufenthalt. „Aus meiner Sicht bietet der SES Menschen eine wunderbare Möglichkeit, Fachwissen in entlegene Orte der Welt zu bringen und leistet so einen Beitrag bei der Unterstützung einer Gesellschaft.“
Sechs Wochen lang würde sie nach Moshi in Tansania entsandt werden, um zum einen das Poolpersonal des YMCA (Young Men’s Christian Association) im Schwimmen und Rettungsschwimmen auszubilden, zum anderen um Sportlehrkräften die nötige Unterrichtskompetenz im Schwimmen zu vermitteln. Bevor es wirklich losgehen sollte, hatte sich Frommann jedoch um einige „Formalia“ kümmern müssen. Wie vor jeder längeren Reise informierte sich die engagierte Sportlerin gründlich über die örtlichen gesellschaftlichen und kulturellen Gepflogenheiten, über Nahrungsmittel und Gefahren und nötige Impfungen. Mit rund 1.000 Euro ging sie in Vorleistung. Das Geld würde sie im Nachhinein von der Stiftung erstattet bekommen.
Mitte August ging es los – allein. Nach einem langen Flug wurde sie am Flughafen Kilimandscharo von Vertretern des YMCA begrüßt und zu ihrem Einsatz- und Wohnort für die nächsten 6 Wochen gebracht. Die Herausforderung: Menschen in Tansania mit zum Teil muslimisch geprägtem Hintergrund, die keinen oder nur einen sehr geringen Bezug zum Wasser haben, das Schwimmen beizubringen.
Bekanntschaft mit dem Wasser: Mit Strohhalmen und Tischtennisbällen wurde die Neugier der Teilnehmer geweckt (Bild: Bettina Frommann)
Für ihren Einsatz in Tansania konnte Bettina Frommann einige Lehrmittel aus Kiel mitnehmen, andere Materialien wie Schwimmnudeln oder Kunststoffbretter kaufte sie in einem Geschäft in der Nachbarstadt Moshis
(Bild: Lothar Tubbesting)
Vor Ort sah sich die engagierte Schwimmexpertin jedoch mit einigen Hindernissen konfrontiert. Der zuständige Bildungsbeauftragte des YMCA in Moshi erkrankte schwer und stand Frommann während des gesamten Aufenthaltes nicht zur Verfügung. Ein Ersatz war so schnell nicht zu finden. Die tansanischen Sportlehrkräfte hatten sehr viel Angst vor dem Wasser und waren nicht sehr motiviert, „kostbare“ Zeit zu vergeuden. Sie hatten eine sehr pragmatische Einstellung. „Wieso sollten sie für Schwimmunterricht Zeit aufwenden, wenn sie stattdessen Geld verdienen könnten, um die Familie zu ernähren?“, erklärt Bettina Frommann die gesellschaftliche Situation vor Ort. Viele Lehrkräfte würden einer zweiten oder dritten Beschäftigung neben dem Unterricht nachgehen. Das Lehrergehalt sei extrem niedrig und reiche oft nicht aus, um die Familie zu ernähren. Und so blieben die Lehrkräfte leider dem Schwimmunterricht fern.
Während ihres Einsatzes für den SES in Tansania durfte Bettina Frommann an einer besonderen Zeremonie des indigenen Volkes der Massai teilnehmen. Nur alle 20 Jahre findet diese am Fuße des Kilimandscharo statt (Bild: Lothar Tubbesting)
Um die Fachkompetenz der SES-Expertin dennoch sinnvoll zu nutzen, wurden andere Zielgruppen rekrutiert. Die Studierenden der dem YMCA angegliederten Hotelfachschule konnten nun täglich nach dem langen theoretischen Unterrichtstag Erfahrungen im Wasser sammeln und erste Schwimmkompetenz entwickeln. Schülerinnen und Schüler der örtlichen Secondary Schools (dt.: weiterführende Schulen) profitierten ebenfalls vom Angebot des kostenlosen Schwimmunterrichts und lernten bei regelmäßiger Teilnahme mit viel Freude zum Teil mehrere Schwimmstile. „Mein Musterschüler Leon kam täglich und konnte bereits nach vier Wochen alle vier Schwimmstile Kraul-, Rücken-, Brust- und Schmetterlingsschwimmen“, erklärt die SES-Expertin stolz. Und so mancher private Badegast erhielt ganz nebenbei einen pragmatischen Tipp zur Verbesserung des schwimmerischen Könnens.
Von der Not zur Tugend
In der nächst größeren Stadt besorgte Frommann schwimmerische Hilfsmittel. Weiteres Anschauungsmaterial und Geräte, welche sie auch mit den Kieler Sportstudierenden nutzt, hatte sie im Handgepäck dabei. Mit ungewöhnlichen Alltagsgegenständen wie Strohhalmen oder Tischtennisbällen zur Atemschulung wurde die Neugier der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geweckt und vor allem Spaß und Freude im Wasser vermittelt. „Beim Ausatmen durch den Strohhalm ist ein höherer Widerstand zu überwinden, dies erfordert mehr Krafteinsatz, was wiederum die Lungenmuskulatur kräftigt“, erklärt die SES-Expertin. Der hohe Aufforderungscharakter der bunten Schwimmnudeln lädt zum spielerischen Ausprobieren von Arm- und Beinübungen ein und ermöglicht erste Gleit- und Gleichgewichtsübungen. Mit diesem behutsamen spielerischen Ansatz, viel Zuspruch und positivem Feedback gelang es Frommann, das Vertrauen auch derjenigen zu gewinnen, die dem Unterfangen „Schwimmen lernen“ – noch dazu von einer deutschen Frau – zunächst kritisch gegenüber standen.
Unterm Strich
„Eigene Einstellungen und Bewertungen überdenken, deutsche Maßstäbe mal beiseite lassen, sich auf die Denkweise der tansanischen Menschen einlassen, das sind auf alle Fälle wichtige Erkenntnisse“, resümiert die SES-Expertin. Und aus schwimmerischer Sicht? Ein Poolattendant der sicher in drei Stilarten schwimmt und alle Bereiche des Rettungsschwimmens beherrscht, viele Studierende, Schülerinnen und Schüler, die sich zumindest in einer Stilart sicher im Wasser fortbewegen können. Zum Ende ihrer Zeit in Moshi hat sie Freundschaften schließen und weitere Kontakte knüpfen können. „Ein weiterer Aufenthalt als SES-Expertin ist für das nächste Jahr in Tansania geplant“, sagt Bettina Frommann, die der Stiftung in jedem Fall erhalten bleiben möchte.
Wer sich über den Senior Experten Service informieren möchte, erhält hier weitere Informationen.