- Vollkommen analog: Zaimoglu tippt seine Romane an der Schreibmaschine ab – und kommt ohne Smartphone aus (Bild: Sebastian Schulten)
- Schriftsteller Feridun Zaimoglu in seiner Wohung/Atelier am Kieler Südfriedhof (Bild: Sebastian Schulten)
- Zu Besuch im Arbeitszimmer: Der Schriftsteller betreibt hartes Quellenstudium vor dem Schreiben (Bild: Sebastian Schulten)
Feridun Zaimoglu ist Kieler Schriftsteller, Zeit-Kolumnist und Dramaturg. Zuletzt veröffentlichte er seinen Roman „Die Geschichte der Frau“, mit dem er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Wir haben den umtriebigen Kieler in seiner Wohnung am Südfriedhof getroffen...
Einfach war es nicht, einen Gesprächstermin mit Feridun Zaimoglu zu vereinbaren, denn der Kieler Schriftsteller ist ununterbrochen auf Achse. Wenn er nicht gerade einer Einladung zu einer Lesung aus einem seiner Werke folgt, ist der rastlose Literat in den Antiquariaten der Welt zu finden, um für seinen nächsten Roman zu recherchieren. Zaimoglu beobachtet die Menschen und die Umgebung, über die er seine nächste Geschichte verfassen wird, betreibt Feldforschung von Pike auf. Einen Computer besitzt er nämlich nicht – geschweige denn ein Smartphone. Dafür hat er gleich zwei Arbeitsplätze, an denen er seine Geschichten aufschreibt. An seiner Schreibmaschine am Fenster verfasst er seine Romane, auf seinem Sofa seine Theaterstücke – handschriftlich! Während ich an seinem „Theaterarbeitsplatz“ sitze, unterhalten wir uns darüber, wieso gerade ein Mann die Geschichte der Frau aufschreibt, über Dichtung und Realität und den Stellenwert der Digitalisierung.
KIELerleben: Herr Zaimoglu, Sie waren im März zur Leipziger Buchmesse eingeladen, um Ihren Roman „Die Geschichte der Frau“ zu präsentieren, für den Sie außerdem für den Buchmessepreis nominiert waren. Wie lief das ab?
Feridun Zaimoglu: Ich war ziemlich eingespannt. Buchmesse bedeutet Trubel, viele Menschen, viel Einsatz und wenig Schlaf. Es klingt vielleicht ein bisschen bieder, doch man sollte sich vorsehen, dass man wenigstens nach diesen vielen Auftritten, Lesungen und Termine zumindest fünf bis sechs Stunden Schlaf bekommt, sonst ist man verloren. Ich hatte über 40 Termine, um das Buch zunächst vorzustellen. Das heißt, dass ich eine halbe Seite aus dem Buch lese und dann kommt man ins Gespräch. Am Abend gab es dann weitere Lesungen. Mit dem Preis hat es jedoch leider nicht geklappt.
Wie überstehen Sie einen solchen Tag?
Mit Kaffee, Salzstangen und Erdnüssen. Diese sind dann mein Hauptnahrungsmittel. Während der Termine und Reisen nehme ich innerhalb von vier Tagen jedes Mal ein bis zwei Kilo ab. Ich bin dann so angespannt, dass ich das Essen auf dem Teller nur anstarre und gar nicht richtig essen mag. Wenn ich nach zwei Wochen zurück nach Kiel komme, wasche ich Wäsche und schlafe neun Stunden am Stück.
Sie haben in der vergangenen Zeit schon Preise gewonnen. Zeichnet der Preis einen guten Schriftsteller aus?
Wer denkt, dass nur ein Preis einen Schreiber erfolgreich macht, erscheint mir nicht unbedingt sympathisch. Es gibt natürlich solche. Es gibt die Lieblinge des Feuilletons. Das sind dann die Leute, die sich vor Preisen und Werkstipendien kaum retten können, ein bestimmter Typus von Schreiberinnen und Schreibern. Das sind die Leute, die nicht vor den Menschen, bei Lesungen auf der Bühne bestehen und dies auch nicht wollen.
Was sind Sie für ein Typ Schriftsteller?
Ich gehöre zu den düsteren Erzählern. Leute wie ich werden von den Experten der Materie etwas scheel angesehen. Sie haben ihre Lieblinge und ich gehöre nicht dazu.
Für mich ist es wichtig, vor den Frauen und Männern, die zu den Lesungen kommen, zu bestehen. Wenn ich weiß, dass das Buch wird angenommen wird, bin ich glücklich. Ich mache sehr viele Lesungen – in 25 Jahren waren das nun schon mehr als 2.000. Ich bin sozusagen ein Wanderprediger.
Die Geschichte der Frau ist Ihr aktuelles Buch. Wieso ist das eine Geschichte, die gerade von einem Mann erzählt werden sollte?
Ich breche gern Geläufigkeiten und mit meiner eigenen Routine. Den Bezug auf meine eigene Identität finde ich dumm und langweilig. Ich kann nur schreiben, wenn ich von mir fortgerissen werde. Ich war schon ein katholischer Landsknecht im 16. Jahrhundert, war Martin Luther, ein sechsjähriger Junge, ein deutscher Junge im Istanbul der 90er. Ich war eine 30-jährige herbe Frau in Berlin, die mit den Männern aufräumt und ein Kioskbesitzer im Ruhrgebiet. Ich war ein Kioskbesitzer im Ruhrgebiet. Ich finde, die Frage nach der Authentizität ist in der Literatur nicht berechtigt. Der besondere Aspekt, dass ein Mann die Geschichte der Frau aufschreibt, ist der Tatsache geschuldet, dass mir das Unrecht in die Nase stinkt, welches bestimmten Menschen widerfahren ist. In den letzten 40 Jahren habe ich mich mit Religion und Sagen und Legenden des Abendlandes beschäftigt und bin auf eine Leerstelle gestoßen. Und das ist die Frau.
Zu Besuch im Arbeitszimmer: Der Schriftsteller betreibt hartes Quellenstudium vor dem Schreiben (Bild: Sebastian Schulten)
Vor dem Schreiben geht es um knallhartes Quellenstudium
Und worum geht es genau?
Die Idee, so wie ich es in den anderen Büchern auch mache, ist, dass jeweils eine Frau in ihrer Situation ihre besondere Geschichte erzählt. Zehn Frauen sind es geworden. Sie tilgt mit Ihren Worten die Lügen der Männer. Ich bin kein Genderklugschwätzer. Ich halte es auch für bemerkenswert blöde, wenn man mit akademischen Floskeln kommt und das Leben aufgrund von Floskeln biegen und brechen möchte. Hier geht es um die Stärke und das Kämpfen der Frau.
Wie versetzen Sie sich in diese verschiedenen Perspektiven und Figuren?
Ich habe keinen Computer. Es geht mir auch nicht um Informationshäppchen. Es geht ganz altmodisch um hartes Quellenstudium. Wenn ich über das Istanbul der 30er Jahre schreibe, dann muss ich genau wissen wie es dort ausgesehen hat. Ich muss also dahinreisen und mich dort aufhalten. Ortsbegehung und Quellenstudium. Das ist bei meinen Büchern sehr wichtig.
Nun stelle ich mir einen Studenten in der Bibliothek vor. Ist das so?
Es ist noch wilder! Ich durchkämme die ganzen Antiquariate, nicht nur in Kiel, und bin auf der Suche nach Büchern, also nach Spezialwissen: Wie sind die Menschen in einer bestimmten Epoche angezogen? Worüber unterhalten sie sich? Wie unterhalten sie sich? Detailwissen ist sehr wichtig. Es gärt in meinem Kopf, eigentlich bin ich ständig auf Achse.
Kein Held des Zeitgeschehens
Sie sagen, dass Feminismus keine saisonale Angelegenheit sei. Was meinen Sie damit?
Es gibt die aufgeweckten Knaben und Mädchen, die vegan sind, weil es angesagt ist. Mit dem Hipster sein habe ich allerdings überhaupt nichts zu schaffen. Natürlich sagte der ein oder andere: Jetzt hängt sich der Herr Z. als alter weißer Mann an die #metoo-Debatte an. Das kann man nur machen, wenn man mit einer zynischen Vernunft an die Sache herangeht. Aber auch Zynismus ist meine Sache nicht. Ich bin alles andere als ein Held des Zeitgeschehens.
Sondern der Vergangenheit?
Es geht darum, jene Menschen sichtbar zu machen, die sonst nicht zu Wort kommen. Diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die als Ideenbehälter aufgefüllt oder zur ideellen Immobilität verdonnert werden. Sie werden gebogen, gebeugt und verzeichnet. Es geht auch darum, andere Geschichten zu erzählen. Der Feminismus, als Kampf um die Rechte der Frauen, meine ich im altmodischen Sinne. Es geht darum, dass Kerle – potenzielle Vergewaltiger eines auf die Schnauze bekommen.
Bedeutet dies, dass Ihnen das weibliche Geschlecht in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz kommt?
Man soll mir gestohlen bleiben mit der Gender-Hysterie. Das ist Blödsinn junger Spießerinnen und Spießer. Man kann mir mit echten Kämpfen kommen. Und das bedeutet manchmal auch Widerstand und Gewalt. Denn die Wirklichkeit ist stärker als jedes Fremdwort.
Sie stellen der Geschichte der Frau einen kurzen Absatz vorweg: „Nach Ihren Siegen lernten Männer Ruhmestaten zu erdichten. Sie schrieben sich erlügend ihre Sagen.“ Was sind die Motive dafür, sich solche Geschichten zu erdichten?
Männer erzählen Fabeln, um ihre Fabelhaftigkeit zu erdichten. Die größte Lüge von uns Männern besteht darin, dass wir denken „Wir sind dazu berufen zu lenken, zu führen, zu leiten.“ Und das ist Quatsch. Seit Jahrhunderten besteht diese Welt. Die Menschheitsgeschichte wird uns verkauft als Geschichte der Entdeckungen, Erfindungen, Gemetzel. Das ist die Männerherrlichkeit. Seit Jahrhunderten haben die Männer die Möglichkeit, ihre Wirklichkeit darzustellen. Das führte dazu, dass ich von der Beschissenheit der Welt spreche.
Vom ranzigen Maskulinismus
Was meinen Sie damit genau?
Ich sehe blöde, alte Männer, die dem ranzigen Maskulinismus verhaftet sind. Führergestalten, deren Anblick schon Augenpest ist. Trump und Putin! Was sind das bloß für Leute? Es ist kaum zu fassen, was man uns glauben machen will. Gegen diesen Glauben muss man kämpfen. Sonst ist man ein Hedonist und schwimmt in diesen Lügen. Wir leben das Leben und die Mode, die Bücher und den Genuss. Es gibt aber auch den Kampf gegen diese Lügen. Ich habe somit nichts gegen den feministischen Blick. Im Gegenteil: es ist für mich der einzig realistische Blick auf die Verhältnisse.
Heißt das, die Realität bietet nicht genug Geschichten zum Erzählen?
Was diese kaputten Typen der Realität betrifft, leistet der Journalismus großartige Arbeit. Gegen die Lügen dieser Herrschenden schreiben die Journalisten an. Da kenne ich viele tolle Reportagen. Wir leben in einer Zeit, in der die völkischen Knallchargen von der Lügenpresse sprechen. Man mag bezweifeln, ob das alles mit rechten Dingen zugeht. Gegen die fake news werden gute Geschichten als Gegenerzählung gesetzt.
Es gibt eine Traditionslinie der Proteste. Es ist keine Erfindung der heutigen Zeit, der 60er/70er. Es ist auch keine Hysterie oder Mode, die verschwinden wird. Es ist ein jahrhundertealter Kampf. Und da setzte ich auf die Dichtung. Das kommt aus der dunklen Zeit bis heute. Ich setze auf die Kraft der Geschichte, weil diese Journalisten gegen diese geistigen Zwerge wettern.
Den Fall Klaas Relotius werden viele noch vor Augen haben: Was unterscheidet die Journalisten von den Dichtern?
Journalisten können nicht wie Literaten in die Breite gehen. Da geht es um die Sache, um die Tagespolitik oder Ereignisse. Wenn Journalisten behaupten, dass ihre Dichtung die Wirklichkeit ist oder diese ersetzt, dann werden sie entlarvt und abgezogen. Ein Schreiber muss sich von der Wirklichkeit abwenden, er muss die Wirklichkeit durch eine Über-Wirklichkeit oder Ultra-Wirklichkeit – nämlich die Dichtung – ersetzen.
Sie sagen, dass Sie kein Held der Heutigkeit sind. Sie nutzen weder Smartphone noch einen Computer auf dem Sie schreiben. Dennoch haben Sie einen Twitter-Account. Wie kommt das?
Ein Freund hat mir von dem Account berichtet. Ich weiß gar nicht wie Twitter geht, das bin nicht ich. Das wird der Gallerist in Lütjenburg sein, der das bespielt.
Schriftsteller Feridun Zaimoglu in seiner Wohung/Atelier am Kieler Südfriedhof (Bild: Sebastian Schulten)
Wissen Sie also gar nicht, was auf Ihren Profilen passiert?
Nein, nicht wirklich. Meine Schwester kümmert sich ein wenig. Angeblich habe ich auch drei Facebook-Seiten. Ich wurde gefragt, warum ich nie antworte. Das handelte mir den Vorwurf der Arroganz ein. Aber mit diesen Seiten und sozialen Netzwerken habe ich nichts zu tun.
Wieso spielen soziale Medien bei so vielen Menschen eine derartige Rolle?
Ich sehe die große Enthemmung. Ich sehe, dass die Internet-Trolle wüten und ich sehe den ganzen Schmutz. Das Internet ist größtenteils eine Schmutzlawine. Ich sehe wie irgendwelche Labersäcke den letzten öden Mist von sich geben. Die Leute starren auf die Bildschirme wie Erdmännchen. Ob sie gehen oder in der Bahn sitzen. Das ist im Grunde eine Verhaltensstörung. Ich halte von diesem ganzen digitalen Mist nicht das Geringste. Wer sich auf die digitale Kommunikation einlässt, kann nicht anders als sprachlich zu veröden. Wenn es um den Nutzeffekt geht, also die digitale Kommunikation für die journalistische Arbeit verwendet wird, ist es etwas anderes. Gesund ist das nicht und ich brauche das nicht. Scheiß drauf!