- Midori und Eschenbach, zwei, die schon beim ersten Schleswig-Holstein Musik Festival 1986 dabei waren und noch heute auf höchstem Niveau unterwegs sind. (Bild: Agentur 54° Felix König)
- Seit vielen Jahren leitet Eschenbach das Schleswig-Holstein Festival Orchestra, das jedes Jahr aufs Neue aus über 100 Nachwuchsmusiker:innen aus aller Welt zusammengestellt wird. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Die Elbphilharmonie war am Montagabend Schauplatz eines dieser Konzerte, die man nicht so schnell vergisst: Das Schleswig-Holstein Festival Orchester, zusammengestellt aus jungen Musiker:innen aus aller Welt, verabschiedete sich mit einem glanzvollen Auftritt vom Publikum des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2025.
Gleich der erste Teil des Abends bot einen Sternmoment des Festivals. Am Pult stand Christoph Eschenbach, der Grandseigneur des Dirigentenfachs. Schon beim fulminanten Gründungskonzert des SHMF im Jahr 1985 interpretierte Christoph Eschenbach gemeinsam mit Justus Frantz Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester. Ein Jahr später fand die erste Ausgabe des SHMF statt und Eschenbach dirigierte ein umjubeltes Konzert mit Geigenstar Anne-Sophie Mutter und dem Royal Philharmonic Orchestra in der Ostseehalle in Kiel. Von 1999 bis 2002 war er Künstlerischer Leiter des Festivals, seit 2004 inspiriert er als Principal Conductor des Festivalorchesters jedes Jahr junge internationale Nachwuchstalente.
Als Solistin glänzte die japanisch-amerikanische Geigerin Midori mit Mendelssohns Violinkonzert e-Moll op. 64 – einem jener Werke, die zu Recht seit fast zwei Jahrhunderten zum festen Kern des Konzertrepertoires gehören.
Midori, die seit den 1980er-Jahren zu den international angesehensten Geigerinnen zählt (und schon 1986 als Teenagerin Teil des ersten SHMF war), bestach durch ein Spiel, das enorme Ausdruckskraft mit feinster klanglicher Differenzierung verband. Das Violinkonzert e-Moll, 1844 vollendet, ist Mendelssohns einziges Werk dieser Form, dafür aber eine der bedeutendsten Schöpfungen der Romantik: Virtuosität und lyrische Tiefe gehen hier Hand in Hand.
Midori führte gerade im berühmten zweiten Satz ihre Geige zu einer fast kammermusikalischen Intimität. Beeindruckend war dabei nicht allein ihre technische Perfektion, sondern vor allem ihre Fähigkeit, Emotionen ohne Pathos, aber mit umso größerer Intensität zu vermitteln. Das Festivalorchester unter Eschenbach begleitete dabei aufmerksam und mit viel Feingefühl, nie zu laut, niemals dominant – ein Lehrstück darin, wie Dialog zwischen Solistin und Orchester gelingen kann.
Ein Bruckner für die Jugend
Nach der Pause wagte sich das Schleswig-Holstein Festival Orchester an ein Werk, das als echtes Monument gilt: Anton Bruckners Sinfonie Nr. 5 in B-Dur, WAB 105. Bruckner vollendete sie 1876, hörte sie selbst jedoch nie live – zu Lebzeiten wurde sie nur in einer für kleinere Besetzungen reduzierten Fassung gespielt. Heute gilt die Fünfte als eine der architektonisch gewaltigsten Sinfonien im Bruckner-Kosmos, eine „Kontrafugensymphonie“, die kontrapunktische Strenge mit kathedralenhafter Klangfülle vereint.
Dass sich ein junges Orchester an dieses Werk wagt, ist schon bemerkenswert – doch wie geschlossen, homogen und zugleich voller Leidenschaft die Musiker:innen den gewaltigen Bogen spannten, war außergewöhnlich gut. Eschenbach, der Bruckner schon seit Jahrzehnten dirigiert und vielleicht wie kaum ein anderer versteht, holte aus dem Ensemble eine Mischung aus kontrollierter Präzision und eruptiver Kraft heraus. Der gewaltige Schlusssatz, in dem sich die Themen zu einer triumphalen Doppelfuge verweben, wurde so zu einem musikalischen Rausch, den die Elbphilharmonie mit atemloser Aufmerksamkeit verfolgte.
Seit vielen Jahren leitet Eschenbach das Schleswig-Holstein Festival Orchestra, das jedes Jahr aufs Neue aus über 100 Nachwuchsmusiker:innen aus aller Welt zusammengestellt wird. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Ein Orchester auf Zeit, ein Abend für die Ewigkeit
Das Schleswig-Holstein Festival Orchester ist ein besonderes Ensemble. Jedes Jahr werden junge, hochbegabte Musiker:innen aus aller Welt neu zusammengestellt, um in den Sommermonaten gemeinsame Konzerte zu bestreiten. Für viele ist es der erste Schritt in eine internationale Karriere. Doch sobald die Saison endet, löst sich das Orchester wieder auf.
Am Montagabend war dieser Abschiedscharakter greifbar wie selten: Manche Musiker:innen lagen sich nach dem letzten Akkord von Bruckners Sinfonie tränenreich in den Armen, wissend, dass dies ihr letzter gemeinsamer Abend war. Für das Publikum war es hingegen Anlass, minutenlang stehend zu applaudieren – für die gewaltige Disziplin, die künstlerische Hingabe und die Kraft der Musik, die an diesem Abend spürbar wurde.
Es war ein Konzertabend, der die Essenz des Schleswig-Holstein Musik Festivals spürbar machte: die Begegnung von erfahrenen Meistern mit der nächsten Musiker:innengeneration, die Menschlichkeit im Zusammenwirken, und die schöpferische Kraft der Musik.