- Tim Eckhorst, Gregor Hinz und Volker Sponholz (v. li.) veröffentlichen seit zehn Jahren Comics als Kollektiv „Pure Fruit“. (Bild: S. Schulten)
- (Bild: S. Schulten)
- Volker Sponholz zeichnet digital an seinem Grafik Tablet und demonstriert die Vorteile des Geräts. (Bild: S. Schulten)
- (Bild: S. Schulten)
- Das „Mohrenkopf-Brötchen“: eine Leserin hatte sich über den Ausdruck über in Pure Fruit #4 beschwert. (Bild: S. Schulten)
- Gregor Hinz arbeitet an seinem Platz im Kieler Atelier analog und digital. (Bild: S. Schulten)
- Volker Sponholz findet in der Comic Bibliothek eines seiner „Perlen“: Manu Larcent– Blast (Bild: S. Schulten)
Norddeutschland – speziell Kiel – hat spätestens seit WERNER eine große Comic-Tradition. In der Landeshauptstadt weht seit rund 10 Jahren ein frischer Wind durch die Comic-Szene. Verantwortlich dafür ist das Comic-Kollektiv "Pure Fruit".
Ob analoger Pinsel und Blatt Papier oder mit den digitalen Werkzeugen des 21. Jahrhunderts – Tim Eckhorst, Gregor Hinz und Volker Sponholz sind Meister ihrer Zunft und beherrschen ihr Handwerk aus dem „FF“. Als Kieler Comic-Kollektiv „Pure Fruit“ zeichnen, entwerfen und gestalten sie seit 2010 liebevoll jede Ausgabe ihres Magazin, welches halbjährlich erscheint. Zum Gratis Comic-Tag am 9. Mai hätte das Trio gern auf den runden Geburtstag angestoßen – wegen der Corona-Pandemie ist die Veranstaltung im Comic-Laden „Fantasyreich“ in der Wilhelminenstraße leider abgesagt worden. Das ist auch der Ort, an dem vor zehn Jahren alles begann.
Eckhorst und Sponholz sind ehemalige „Muthesianer“, Absolventen der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Allerdings haben sie nicht zur gleichen Zeit studiert. Gregor Hinz hat in Berlin studiert und in der Kieler Comic-Szene schnell Anschluss gefunden. Im Fantasyreich lernten sie sich beim ersten Gratis Comic Tag 2010 näher kennen und schmiedeten die Idee, ein eigenes Comic Magazin herauszubringen – die Geburtsstunde von Pure Fruit. Um die illustrierten Geschichten zu ehren, öffnen einmal in Jahr weltweit alle Fachgeschäfte für Comic-, Manga-, Anime-Fans und Rollenspieler und lassen die Herzen der Anhänger höher schlagen. Dass das Trio nur weniger Jahre später mal ein eigenes Magazin herausgeben und dafür einen national angesehenen Fachpreis gewinnen sowie Kooperationen mit Comiczeichnern aus Frankreich – DER Comiczeichner-Nation – beginnen würden, haben sich die Kieler wohl nicht besser ausdenken können.
Volker Sponholz zeichnet digital an seinem Grafik Tablet und demonstriert die Vorteile des Geräts. (Bild: S. Schulten)
(Bild: S. Schulten)
Atelier aus dem Bilderbuch
In einem Hinterhof-Gebäude des Königswegs hat es sich Pure Fruit gemütlich gemacht. Im zweiten Stock befindet sich ihr Atelier – mehrere Arbeitsplätze, um die ringsherum Entwürfe von Zeichnungen wie trocknende Kleidung an einer Wäscheleine hängen, Pinsel in Wassergläsern einweichen, bevor sie gereinigt werden können. Unsortiert herumstehende Acrylfarben in Plastiktuben und eine alte schwarze Schreibmaschine lassen erahnen, dass hier noch ein Handwerk betrieben wird, wie es bereits zu den Anfängen der Comic-Strips vor über 100 Jahren in den Vereinigten Staaten der Fall war.
Zusätzlich arbeiten Eckhorst, Hinz und Sponholz mit neumodischen Werkzeugen. Auf jedem Arbeitsplatz steht ein Grafik Tablet. Mit einem speziellen Stift zeichnet Sponholz in nur wenigen Sekunden eine Figur, kann sie farblich bearbeiten, Daten löschen und sogar den gesamten Verlauf der Zeichnung bis zum Ergebnis als Zeitraffer exportieren. Die Technologie bietet nicht zu verachtende Vorteile und Spielereien, das Handwerk von der Pike auf zu lernen ist sicherlich kein Nachteil. „Kinder wachsen in dem digitalen Zeitalter auf und optimieren sich selbst“, sagt Volker Sponholz. Junge Zeichner wüssten, dass sie jeden Pinselstrich entfernen und neu setzen können. Das verfälscht das Ergebnis, schlimmer – es wird unauthentisch.
„Eine breite Bevölkerungsschicht hat erfahren, dass es in Comics um mehr gehen kann als das, was man in der Humor-Ecke findet“,
sagt Tim Eckhorst.
Kein abgestandener Saft
An Authentizität ist es allen drei Künstlern gleichermaßen gelegen. Von Beginn an arbeitet Pure Fruit mit weiteren Zeichnern aus ganz Deutschland zusammen. Viele kennen sich aus dem gemeinsamen Studium in Kiel. Es ist ein Netzwerk von Zeichnern, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Muthesius Kunsthochschule ist und organisch wächst. „Manchmal lernt man auch Zeichner auf Comic-Festivals kennen“, sagt Eckhorst. Andere interessierte Zeichner würden sich melden, weil sie das Heft kennen und auch etwas dazu beitragen würden. Der Inhalt der Arbeiten sollte in etwa auf die Thematik der Ausgabe passen. Jede Veröffentlichung hat einen bestimmten Schwerpunkt, wie Pure Fruit #6. Die Ausgabe dreht sich um das Thema Essen, Kochen und Rezepte – alles im Comicstil gehalten. Eine Ausgabe, auf die das Trio besonders stolz ist. 2014 hat das Rezeptheft den ICOM Independent Comic-Preis in der Kategorie für eine bemerkenswerte Comic-Publikation gewonnen. Die Ausgabe hat scheinbar auch für Kontroversen gesorgt und ist aufgrund einer Doppelseite in der Heftmitte nicht bei allen Leser*innen gut angekommen.
Das „Mohrenkopf-Brötchen“: eine Leserin hatte sich über den Ausdruck über in Pure Fruit #4 beschwert. (Bild: S. Schulten)
Auf der Suche nach den Perlen
Neben den eigenen Geschichten platziert Pure Fruit aber auch Werbeinhalte von lokalen Kieler Unternehmen. So finanziert das Künstler-Trio ihre Ausgaben, die mit einer Auflage von 10.000 Heften in den Comic-Buchläden der Republik ausliegen. Der Vertrieb „Comic Base Berlin“ unterstützt Pure Fruit bei der Verteilung. Hier bestellen Comicläden in der Regel ihre Verkaufsware. Die Kieler genießen das Privileg, bei den Lieferungen von anderen kostenpflichtigen Comicheften in den Läden ebenfalls ausliegen zu dürfen.
Kiel Marketing, die Stadtbücherei, Zapata, die Tragbar oder das Werner Rennen sind es, die bei Pure Fruit Anzeigen schalten und mit Inhalt füllen. „Kunden teilen uns ihre Wünsche zur Werbung mit, wir kümmern uns um die grafische künstlerische Umsetzung“, sagt Gregor Hinz. Kunden würden gerade bei Pure Fruit auf individuelle Werbung setzen. „Viele Kunden werben gerade bei uns, weil sie etwas anderes bekommen als sonst – etwas, das ins Auge fällt“, ergänzt Eckhorst. Ein weiteres Format der fruchtigen Heftchen sind Auftragsarbeiten.
Bereits 2011 lernte Tim Eckhorst Lucas Dymny kennen, den damaligen Leiter des Institut Francais Kiel. Letzterer ist selbst begeisterter Comiczeichner und so entstand die Idee zu einem gemeinsamen Projekt. Pure Fruit #4 basiert auf einem Austausch von deutschen und französischen Zeichnern und behandelt das 50-jährige Jubiläum der deutsch-französischen Freundschaft. In dieser Ausgabe sind alle Geschichten in beiden Sprachen verfasst.
Gregor Hinz arbeitet an seinem Platz im Kieler Atelier analog und digital. (Bild: S. Schulten)
„Immerhin haben es Comics aus den Kunsträumen in den Deutschunterricht geschafft“
Die Situation der Comic-Kultur ist in Frankreich jedoch noch eine ganz andere und mit jener in Deutschland kaum zu vergleichen. Während viele französische Zeichner gut von ihren Arbeiten leben können, fehlt es hierzulande an den Strukturen und Finanzierungsmöglichkeiten für Comics. „Immerhin haben Comic aus dem Kunsträumen in den Deutschunterricht geschafft“, sagt Sponholz. Die Geschichten werden lange nicht mehr als reine Bildergeschichten wahrgenommen, sondern dienen neben Lyrik und Prosa als Unterrichtsstoff in den Schulen. Hin und wieder müsse man ein Buch auch mal zur Seite schieben, um eine wahre Perle entdecken zu können.
Volker Sponholz findet in der Comic Bibliothek eines seiner „Perlen“: Manu Larcent– Blast (Bild: S. Schulten)
„Die eigentliche Arbeit beginnt, wenn das Heft fertig ist“, sagt Eckhorst. Es müsse noch einmal die gleiche Arbeitskraft in den Vertrieb und in Marketing gesteckt werden, damit das Heft schlussendlich auch den Leser erreicht. „Wenn man das dann aber auf WG-Toiletten entdeckt, ist das immer wieder schön.“ ergänzt er.
Weitere Infos erhaltet ihr unter Purefruit-Magazin.de.