- Lang anhaltenden Applaus ernteten Daniel Barenboim, Lang Lang und das Orchester für Mendelssohns Klavierkonzert und überhaupt für den gesamten Abend. (Bild: Agentur 54° Felix König)
- Große Virtuosität trifft gefühlvolles Spiel: Lang Lang in seinem Element. (Bild: Agentur 54° Felix König)
- Immer noch einer der ganz großen seines Fachs: Der argentinische Ausnahmedirigent Daniel Barenboim (Bild: Agentur 54° Felix König)
Ein Abend zwischen leiser Innigkeit und sinfonischer Wucht: In der Lübecker Musik- und Kongresshalle vereinte das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim feinsinnigen Wagner, glanzvollen Mendelssohn mit einem brillanten Lang Lang und Beethovens revolutionäre „Eroica“.
Der gestrige Abend in der Musik- und Kongresshalle Lübeck im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals war mehr als ein Konzert – er war eine Begegnung von Musik, Geschichte und Haltung. Das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim und mit Lang Lang am Klavier bot ein Programm, das vom zarten Klangfluss Wagners bis zur eruptiven Kraft von Beethovens „Eroica“ reichte – dazwischen ein funkelndes Mendelssohn-Konzert, das den Saal zum Leuchten brachte.
Wagner: Sanfter Auftakt mit Tiefenwirkung
Eröffnet wurde der Abend mit dem Siegfried-Idyll von Richard Wagner. Es ist ein Stück von intimer Zartheit, ohne große dramatische Gesten – eher ein fließender Strom, der sich ruhig durch die Landschaft bewegt. Die Musik plätscherte, ja, aber auf hohem Niveau: das Orchester spielte warm und fein abgestimmt. Der Einstieg wirkte wie ein langsames Aufziehen des Vorhangs für die folgenden Highlights.
Große Virtuosität trifft gefühlvolles Spiel: Lang Lang in seinem Element. (Bild: Agentur 54° Felix König)
Mendelssohn und Lang Lang: Virtuosität mit Seele
Der erste große Höhepunkt: Felix Mendelssohns Klavierkonzert Nr. 1. Lang Lang, längst einer der bekanntesten Pianisten der Welt, stellte hier unter Beweis, dass technische Perfektion und emotionale Tiefe keine Gegensätze sind. Jede Passage saß – blitzsauber, federleicht.
Nach begeistertem Applaus, die Chopin-Zugabe: eine Miniatur, die fast noch mehr berührte als das Hauptwerk. Hier war die Virtuosität zurückgenommen, jeder Ton mit Bedacht gesetzt. Es war der Moment des Abends, in dem Lang Lang wirklich ganz bei sich schien – und das Publikum mitnahm in eine intime Klangwelt. Schade nur, dass ein Ausnahmekünstler wie er an diesem Abend nur für einen Bruchteil des Programms auf der Bühne stand.
Beethoven: Die „Eroica“ als zeitloser Aufbruch
Nach der Pause dann eins der bedeutendsten Werke überhaupt: Beethovens Dritte Sinfonie, die „Eroica“. Sie ist nicht einfach ein Stück Musikgeschichte, sie ist ein Wendepunkt. Ursprünglich Napoleon gewidmet, dann aus Enttäuschung über dessen Selbstkrönung gestrichen, wurde sie zu einem Werk, das heroische Größe neu definierte – nicht als Machtdemonstration, sondern als Ausdruck von Freiheitsdrang und Individualität.
Gestern Abend spannte das West-Eastern Divan Orchestra diesen gewaltigen Bogen mit einer Mischung aus Präzision, Energie und tiefer Musikalität. Die wuchtigen Akzente des ersten Satzes, das ergreifende Trauermarsch-Adagio, die ungestüme Vitalität des Scherzos und der triumphale Schlusssatz – all das bekam unter Barenboims Leitung eine klare Dramaturgie. Keine übertriebene Effekthascherei, sondern eine kluge Interpretation, die das Revolutionäre der „Eroica“ spüren ließ.
Immer noch einer der ganz großen seines Fachs: Der argentinische Ausnahmedirigent Daniel Barenboim (Bild: Agentur 54° Felix König)
Barenboim: Erfahrung als eigene Virtuosität
Daniel Barenboim ist nicht mehr der energiegeladene Dirigent vergangener Jahrzehnte. Sein Alter und die Folgen seiner Parkinson-Erkrankung sind nicht zu übersehen. Die Gesten sind kleiner, bedachter. Aber gerade diese Ökonomie der Bewegung verleiht seinem Dirigat heute eine besondere Intensität. Wenn er den Taktstock hebt, entstehen Klangräume, die von jahrzehntelanger Erfahrung getragen werden – eine andere Art von Virtuosität, nicht minder beeindruckend.
Mehr als Musik: Das West-Eastern Divan Orchestra als Botschafter
Das West-Eastern Divan Orchestra ist kein gewöhnliches Orchester. Gegründet von Daniel Barenboim und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said, bringt es junge Musikerinnen und Musiker aus Israel, Palästina und anderen Ländern des Nahen Ostens zusammen. In einer Zeit, in der die Region erneut von Krieg, Terror und Gegengewalt erschüttert wird, ist dieses Ensemble ein klingendes Gegenmodell: gelebter Dialog, praktische Verständigung, ein Beweis, dass Zusammenarbeit möglich ist.
Gerade in Verbindung mit der „Eroica“ gewann dieser Gedanke an Gewicht. Beethovens sinfonisches Plädoyer für Freiheit und humanistische Ideale verschmolz mit der realen Botschaft der Musikerinnen und Musiker – und so wurde der Konzertsaal für einen Abend zu einem Ort, an dem sich Kunst und politisches Bekenntnis still, aber deutlich berührten.
Ein Abend, der bleibt
Vom zarten Wagner-Beginn über den glanzvollen Mendelssohn mit einem brillanten Lang Lang bis zur monumentalen Beethoven-„Eroica“ spannte sich ein Konzertabend, der künstlerische Exzellenz mit einer klaren Botschaft verband. Das Schleswig-Holstein Musik Festival erlebte hier einen seiner Sternstunden: Musik als Kunst, Musik als Haltung – und Musik als Brücke in einer zerrissenen Welt.