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Vom Abgrund im Menschen - "Wozzeck" im Opernhaus

07/03/2010 0 0

"Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht." Diese Zeile Wozzecks ist eine, die hängen bleibt; eine, die betroffen macht. So wie die gesamte Oper von Alban Berg, deren Libretto auf dem deutschsprachigen Dramenfragment "Woyzeck" von Georg Büchner beruht und die am Samstagabend unter Regie von Daniel Karasek Premiere im Kieler Opernhaus feierte.

Was ist der Mensch? Freies Geschöpf, oder doch eine den natürlichen Trieben und den Verhältnissen ihrer Umgebung unterworfen Kreatur?

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Wer würde nicht den Halt verlieren, müsste er die niedrigsten Arbeiten verichten, für ein paar Groschen grausame medizinische Experimente über sich ergehen lassen und wegen eines unehelichen Kindes ausgestoßen am Rand der Gesellschaft leben? Und was, wenn sich dann noch die einzige Konstante im Leben, die Geliebte und Mutter des Kindes, für ein bisschen Glitzerschmuck an den Nebenbuhler verkauft?

Die Geschichte, die Büchners Fragment "Woyzeck" erzählt, ist an sich schon eine höchst verstörende. Alban Berg erreicht mit seiner expressionistischen Musik jedoch eine regelrechte Bestürzung des Zuschauers. Diese weitere dramaturgische Ebene macht die Seelenzustände der Protagonisten begreiflicher; Angst, Wut, Verzweiflung, Hass werden hör- und spürbar. Wunderbar klar schafft dies auch Karaseks Inszenierung der 1925 uraufgeführten Oper.

Eine überragende Rolle spielt dabei das Orchester. Der atonale Stil, die vielen Disharmonien und Tempowechsel - die Kieler Philharmoniker unter der Leitung Johannes Willig meistern jede Schwierigkeit bravourös. Hin und wieder jedoch überrollt die kraftvolle Musik die Sänger, die partienweise mit der enormen Kraft und Lautstärke des Orchesters zu kämpfen haben.

Abgesehen davon leisten die Sänger gute Arbeit. Jörg Sabrowski (Bariton) spielt und singt den Wozzeck so einfühlsam, dass dem Zuschauer gar nichts anderen übrig bleibt, als Anteil zu nehmen und die grausige Tat am Ende wenn auch nicht zu billigen, so doch wenigstens nachvollziehen zu können. Sopranistin Sonja Mühleck debütiert in Bergs "Wozzeck" und zeigt solide die vielen Facetten der Marie, ihr ständiger Blick zum Dirigenten über den im Saal befestigten Monitor stört allerdings - besonders bei der Interaktion mit anderen Sängern. Da wäre zum Beispiel der forsche Tambourmajor, gespielt von Jan Vacik, der um Maries Gunst buhlt. Oder der Bub, das uneheliche Kind von Wozzeck und Marie, gespielt von Jonathan Sabrowski, der als Sohn von Jörg Sabrowski eine Kieler Bühnen-Dynastie fortsetzt. Auch die kleinen Rollen werden vom Ensemble ansehnlich umgesetzt; Yoonki Baek als Andres, Fred Hoffmann als Hauptmann oder Hans Georg Ahrens als Doktor setzen ihre Rollen einwandfrei um. Der Chor agierte Samstagabend leicht unpräzise, hat aber mitunter schwierigste Partien zu bewältigen, so dass ihm graduelle Unschärfen verziehen seien.

Norbert Ziermann nutzt mit seiner Bühne wieder einmal das ganze Potential des Raumes ohne diesen zu überladen. Die Fläche an sich ist schwarz und schlicht gehalten. Doch plötzlich schiebt sich Maries oranges Container-Haus aus der Dunkelheit an den Bühnenrand, eine schmale Brücke senkt sich von der Decke oder umgekehrt hebt sich das Wirtshaus aus dem Boden empor. In dieser meisterhaft bizarren Szene mit Chor kommen Claudia Spielmanns Kostüme im übrigen wunderbar zur Geltung. Die Transponierung in die Gegenwart schafft Karasek absolut stimmig; so wirkt es kaum befremdlich, dass Wozzeck und Andres - ganz modern - Pfandflaschen sammeln, statt Stecken zu schneiden.

Nicht ohne Grund gab es Samstagabend deshalb lauten Applaus für Regie, Bühne und Kostüm und auch die Sänger wurden anerkennend gefeiert. Mit ihrer Spieldauer von nur knapp 100 Minuten ist "Wozzeck" eine recht kurze Oper. Die Fragen, die sie aufwirft, und die Betroffenheit, die sie erzeugt, hallen dafür aber noch umso länger nach.

Nächste Termine: 14. März um 19 Uhr, 10. April um 20 Uhr im Opernhaus Kiel. Karten: Telefon 0431 – 90 19 01 oder im Internet unter www.theater-kiel.de.

foto: struck-foto


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ÜBER DEN AUTOR

Franziska Falkenberg
Franziska Falkenberg
findet: Das Fragezeichen ist das schönste Satzzeichen von allen. (Nicht nur) deshalb hinterfragt sie vieles. Die Antworten sucht sie meistens im Theater, der Oper, in Ausstellungen, Filmen und Musik und - in ihrer großen Sammlung kleiner, gelber Reclam-Bücher.

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