- Vivi Vassileva voll in action. Vorne links: Dirigent Vimbayi Kaziboni (Bild: Fabian Lippke, SHMF)
Es gibt Konzerte, die beeindrucken – und solche, die bleiben. Der gestrige Abend in der Elbphilharmonie gehört zweifellos zur zweiten Kategorie.
Die Perkussionistin Vivi Vassileva, das Hamburger ensemble reflektor und der aus Simbabwe stammende Dirigent Vimbayi Kaziboni verwandelten den Großen Saal in ein akustisches Labor für Klangexperimente und orchestrale Ekstase. Auf dem Programm: das „Recycling Concerto“ von Gregor A. Mayrhofer und Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie. Was das Publikum erlebte, war nicht nur ein Konzert – es war ein Ereignis.
Die Magierin der Rhythmik
Vivi Vassileva zählt zu den außergewöhnlichsten Musikerinnen ihrer Generation. Ihre Virtuosität ist gepaart mit Neugier, Energie und einem untrüglichen Gespür für das Ungehörte. Kein Wunder also, dass sie 2023 mit dem Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festival ausgezeichnet wurde – ein Preis, der jungen Künstler:innen mit Vision verliehen wird. Ihre Verbindung zum Festival ist seither gewachsen, und ihre Rückkehr in diesem Jahr fühlte sich an wie ein künstlerisches Heimspiel.
Dabei hilft natürlich auch, dass Vassileva eine Studentin von Martin Grubinger war, der das Schleswig-Holstein Musik Festival lange begleitete und sicherlich auch prägte. Ein direkter Vergleich wäre vollkommen unangemessen, aber es ist gut, dass das SHMF eine Ausnahme-Perkussionistin gefunden hat.
Im Zentrum des Abends stand das eigens für sie komponierte „Recycling Concerto“ von Gregor A. Mayrhofer. Der Komponist, selbst Dirigent und Umweltschützer, stellte darin eine simple, aber radikale Frage: Können Abfälle Musik machen? Die Antwort klang eindrucksvoll. Nicht zuletzt, weil Mayerhofer in seiner Komposition Jingles von Unternehmen, die besonders viel Müll produzieren, beispielsweise McDonald’s, Nescafé oder Coca-Cola, integriert. Vassileva spielte auf Instrumenten, die einst Blumentöpfe, Plastikflaschen oder Dosen waren. Unter ihren Händen wurde Weggeworfenes zu Musik. Ihre Darbietung war eine Mischung aus Klangkunst, Umweltstatement und rhythmischer Präzision. Dass sie dabei nicht nur technisch brillierte, sondern das Publikum emotional erreichte, zeigte der langanhaltende Applaus nach dem letzten Schlag.
Begleitet wurde Vassileva vom ensemble reflektor – einem jungen Kammerorchester aus Hamburg, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, klassische Musik neu zu denken. Auch an diesem Abend überzeugte das Ensemble durch Technik und Präzision. Angeleitet wurde das Orchester von Vimbayi Kaziboni – einem charismatischen Dirigenten mit feinem Gespür für Klangbalance und Dynamik, der schon überall auf der Welt aufgetreten ist: Carnegie Hall, Walt Disney Hall, Concertgebouw oder die Berliner Philharmonie? Überall ist Kaziboni ein gern gesehener Gast.
Beethoven – mit neuer Energie
Nach der Pause dann Beethoven: Die siebte Sinfonie – häufig überstrahlt von der berühmteren Neunten, aber keineswegs minder expressiv. Kaziboni nahm das Werk nicht als klassizistisches Schmuckstück, sondern als Feuerwerk an Ideen. Das ensemble reflektor setzte das zwar auf technisch hohem Niveau, leider in vielen Passagen aber etwas seelenlos um.
Unter dem Strich war es vor allem im ersten Teil ein Abend, der zeigte, wie lebendig und relevant klassische Musik heute sein kann – wenn man wagt, sie neu zu denken. Vassileva, Kaziboni und das ensemble reflektor lieferten dafür den eindrucksvollen Beweis. Dass ein Konzert mit selbstgebauten Müll-Instrumenten und Beethoven nicht nur funktioniert, sondern das Publikum begeistert, ist ein Verdienst aller Beteiligten – und ein Geschenk für das Festival.