- Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Literaturbloggerin Maline Kotetzki bei der Lesung seines Romans „Vater ohne Sohn“ im Studio Kino Kiel. (Bild: falkemedia/S. Schulten)
- Zwischen Realität und Erzählung: Feridun Zaimoglu liest Passagen aus seinem Roman, in dem Fiktion und autobiografische Anklänge untrennbar ineinanderfließen (Bild: falkemedia/S. Schulten)
- Zwischen Lachen und Nachdenken: Das Publikum erlebt einen vielschichtigen Abend mit dem Kieler Autor (Bild: falkemedia/S. Schulten)
- „Wer in Kiel und Krefeld überlebt, kann überall“, sagte Feridun Zaimoglu über seine Heimatstadt. (Bild: falkemedia/S. Schulten)
Der Kieler Schriftsteller Feridun Zaimoglu war am Donnerstagabend zu Gast im Studio Filmtheater. Bei der Lesung seines neuen Romans „Vater ohne Sohn“ sprach er nicht nur über literarische Fiktion, Trauer und Herkunft – sondern auch über Kälte, Kiel und das Leben als Autor.
Kiel, eiskalt. Noch nicht so ganz auf den Kieler Straßen, denn es ist Mitte Herbst. Sondern vor allem im Glas von Feridun Zaimoglu. Der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller bestellt eiskaltes Wasser – ganz bewusst. „Ich muss kalt sein beim Schreiben“, sagt er. Wohl nicht nur dann, sondern auch beim Lesen. Die Worte fallen trocken, wie so viele an diesem Abend im Studio Kino. Und immer wieder wird gelacht. Auch über bittere Wahrheiten. Wer hierhergekommen ist, weiß: Feridun Zaimoglu ist kein gewöhnlicher Vorleser. Bekannt geworden mit Werken wie „Kanak Sprak“, ist ein Performer, ein Denker, ein Mann der Kontraste. Auch an diesem Abend.
Zwischen Literatur und Lebensgeschichte
Der Anlass: Die Lesung seines neuen Romans „Vater ohne Sohn“ – einer Reise- und Trauergeschichte, die Zaimoglu mit autobiografischen Anklängen verwebt. Der Autor, geboren 1964, lebt seit über 40 Jahren in Kiel. In seinem Buch stirbt der Vater, der Sohn macht sich auf den Weg zur Beerdigung in die Türkei – mit dem Wohnmobil, denn der Erzähler leidet unter Flugangst. Die Grenzen zwischen Zaimoglu und seinem Protagonisten verschwimmen. Und genau das macht die Erzählung so eindrücklich.
Zwischen Realität und Erzählung: Feridun Zaimoglu liest Passagen aus seinem Roman, in dem Fiktion und autobiografische Anklänge untrennbar ineinanderfließen (Bild: falkemedia/S. Schulten)
„Der Erzähler hat gewisse Ähnlichkeit mit mir. Aber ich habe gelogen, dass sich die Balken biegen.“
Eine Reise ins Land des Vaters – und ins eigene Ich
„Es ist früh am Morgen, als die Mutter anruft, um ihm zu sagen, dass sein Vater gestorben ist.“ So beginnt Zaimoglus neuer Roman Vater ohne Sohn, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Die Handlung: Ein Schriftsteller aus Kiel – dem Autor nicht unähnlich – begibt sich auf eine Reise zur Beerdigung des Vaters in die Türkei. Weil er unter Flugangst leidet, fährt er mit dem Wohnmobil. Ein Roadtrip über 5.000 Kilometer. Aber auch eine Reise durch Erinnerungen, Auseinandersetzungen, Abgründe.
Zwischen Lachen und Nachdenken: Das Publikum erlebt einen vielschichtigen Abend mit dem Kieler Autor (Bild: falkemedia/S. Schulten)
Zwischen den Leseabschnitten entwirft Zaimoglu eine Welt, in der Herkunft ebenso schmerzt wie das Erinnern. Zigarettenspitzen, Jugendkulturen der 70er und familiären Konflikten in Arbeiterfamilien – Als Kind aus einem „knochenbrecherischen Milieu“ erzählt er, wie seine Eltern ihn lieber als Arzt gesehen hätten – und wie er sich zum Künstler durchbiss. Über sein erstes Zimmer in Kiel, eine 9-Quadratmeter-Zelle im Studentenwohnheim, sagt er: „Dunkel, aber ich mochte das.“ Es ist ein Spiel mit Nähe und Distanz, mit biografischer Wahrheit und literarischer Fiktion. Und es ist ein schmerzhafter Prozess: „Ich wünschte, das Schreiben hätte bei der Trauerbewältigung geholfen“, bedauert Zaimoglu.
Ein Erzähler mit Widerspruchsgeist
Was Zaimoglu besonders macht, ist seine Sprache – geschliffen, mit Wucht, und immer bereit zur Konfrontation. Auch an diesem Abend. Wenn er über seine Eltern spricht, wird es persönlich: „Meine Eltern wollten, dass ich Arzt werde.“ Stattdessen wurde er Künstler. Das führte zu Spannungen: „Es war ein Konflikt, der sich durch mein ganzes Leben zog.“
„Wer in Kiel und Krefeld überlebt, kann überall“, sagte Feridun Zaimoglu über seine Heimatstadt. (Bild: falkemedia/S. Schulten)
Auch über die Schulzeit spricht er offen: „1973 bekamen alle eine Empfehlung fürs Gymnasium. Wir nicht. Aber das hatte nichts mit Ethnie zu tun. Auch die deutschen Arbeiterkinder guckten dumm aus der Wäsche.“ Ein wichtiger Satz, der die Debatte über Bildungsgerechtigkeit in ein differenzierteres Licht rückt.
Zwischen Booktok, Buchpreis und Bescheidenheit
Moderiert wurde der Abend von der Germanistin Maline Kotetzki, die seit 2019 als Literaturbloggerin auf Instagram aktiv ist (@girl.with.the.bookshelves). Sie brachte kluge Impulse mit und eröffnete Raum für Diskussionen, den das Publikum gern nutzte und ebenfalls Fragen zum Roman bzw. seines persönlichen Werdegangs und seiner Herkunft stellten.
Zaimoglu ist kein glatter Erzähler. Er provoziert, berührt, verliert sich nicht im Pathos. Er spricht von Krähen, von der Holtenauer Straße, vom Südfriedhof. Und immer wieder: von Sprache als Überlebensmittel.
Zwischen Aufmerksamkeit und Anspruch
Auf die Frage nach der ungleichen öffentlichen Wahrnehmung im Vergleich zur aktuell viel gelesenen Kieler Autorin Caroline Wahl reagiert Feridun Zaimoglu mit Gelassenheit – und Humor. „Ich bin alte Schule und kann als Mann nur Frauen loben“, sagt er schmunzelnd. Er habe ihre Bücher nicht gelesen, verstehe aber, warum sie ein größeres Publikum erreiche: Viele Menschen wollten nach einem langen Tag „leichte Kost“. Seine Werke hingegen seien sprachlich und thematisch fordernder. Dass sein Roman nicht auf die Shortlist des Buchpreises kam, nimmt er sportlich:
„Ich musste lachen – zum zehnten Mal. Ich dachte: Ihr könnt mich gern haben.
Dass Autor*innen heute auch online funktionieren müssen, sei Realität – und Zaimoglu begegnet dem mit Pragmatismus. Social Media sei nicht seine Bühne, aber „wer schreibt, muss kämpfen. Die Räume werden enger.“
Die Lesung zeigte einen Autor, der im Schreiben keine Trosttherapie sieht – sondern Handwerk, Recherche, Disziplin. Einen, der nicht jammern will, obwohl er es manchmal könnte.