Kurz vor Weihnachten scheint sein Terminkalender noch enger bestückt zu sein als sonst. Doch im Interview mit KIELerleben sind Oberbürgermeister Ulf Kämpfer die hektischen Tage nicht anzumerken. Neben seinem Schreibtisch steht ein großer, leerer Adventskalender.
Herr Kämpfer, sind Sie ein Chocoholic?
(lacht) Sie haben mich erwischt. Wenn Schokolade in der Nähe ist, kann ich mich schwer zurückhalten.
Und was braucht ein guter OB noch außer ab und an einem Stück Schokolade?
Urteilsfähigkeit, Leidenschaft für die Stadt und Hartnäckigkeit.
Sie sind nahezu täglich unterwegs in der Stadt, lernen neue Projekte kennen, stoßen vieles selbst mit Partnern an. Kiel entwickelt sich. Und dennoch hat man den Eindruck, die Holstenstraße bleibt weiterhin das Sorgenkind. Viele Läden stehen leer. Woran liegt das?
In der Innenstadt vollzieht sich – wie in den meisten Großstädten in Deutschland – ein Strukturwandel. In Kiel ist dieser besonders intensiv, weil in den letzten zwei Jahrzehnten starke Konkurrenten auf den Markt getreten sind: der CITTI-Park, der Ostseepark Schwentinental, das Designer Outlet Neumünster und – durch das wirklich gute Management der Einzelhändler – die Holtenauer Straße. Nicht vergessen dürfen wir das breite Angebot im Internet.
Und mit welchen Maßnahmen hat eine Neubelebung der Innenstadt gute Chancen?
In der Holstenstraße haben wir eine sehr bunte Eigentümer-Struktur, mit zum Teil Besitzern, die nicht in Kiel leben und weltweit Immobilien halten. Und auch wenn man nicht pauschalisieren darf, so gibt es schon einige Häuser in der Holstenstraße, in die in den letzten Jahren einfach zu wenig investiert wurde. Andererseits werden zum Teil noch immer sehr hohe Mieten verlangt. In den 1980er und 1990er Jahren waren diese – auch aufgrund des geringen Wettbewerbs – noch zu stemmen. Heute dagegen kaum noch. In der Holstenstraße haben wir eine so gute Besucherfrequenz, dass jeder Händler mit einem guten Konzept Geld verdienen kann – wenn eben die Miete angemessen ist. Und da sind wir zurzeit noch mitten im Anpassungsprozess. Was wir brauchen, sind realistische Mieten, ein neuer Branchenmix jenseits der großen Filialisten – und neue Konzepte.
Wie sehen diese aus?
Die Innenstadt wächst – mit neuen Quartieren wie der Alten Feuerwache, dem Schlossquartier oder auch Marthas Insel. Auch für diese neuen Bewohner brauchen wir individuelle Konzepte für die Nebenstraßen, wie wir sie in der Holtenauer Straße erleben, sie in der neuen Bonbonmanufaktur am Alten Markt oder der Naturkosmetik in der Dänischen Straße deutlich werden. Die Innenstadtmanagerin Janine-Christine Streu koordiniert für uns die Zwischennutzung von leeren Läden und arbeitet gemeinsam mit den Inhabern an Lösungen für die Herausforderungen im Einzelhandel während der langen Bauphase des Kleinen Kiel-Kanals. Allerdings werden wir in Zukunft in der Innenstadt wohl weniger Einzelhandelsgeschäfte haben, dafür aber mehr Restaurants und Cafés oder Fitness-Studios wie das neu entstehende John Reed. Viele Unternehmer glauben an die Innenstadt. Auch deswegen kümmern wir uns um den Bahnhofsplatz und haben einen städtebaulichen Wettbewerb laufen, bei dem es um die Neugestaltung der Holstenstraße und der angrenzenden Plätze geht. Dort ist jahrzehntelang wenig für die Aufenthaltsqualität getan worden. Wichtig für neues Leben sind allerdings auch Angebote, die abends zum Verweilen, Erleben und Genießen einladen – dazu gehört auch ein sanierter Konzertsaal im Schloss.
Wann dürfen sich die Kieler und ihre Gäste denn über einen neuen Konzertsaal freuen?
2021 wollen wir mit der Sanierung beginnen und 2023 soll der neue Konzertsaal fertiggestellt sein. Zurzeit gehen wir von einem Investitionsvolumen von 24,5 Millionen Euro aus. Wir bekommen finanzielle Unterstützung vom Land, wir haben Spenden bekommen und sammeln noch weitere ein. Über einen Beitrag zur Sanierung sprechen wir auch mit dem NDR. Die Kosten dürfen nicht aus dem Ruder laufen wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg. Das kann sich eine Stadt wie Kiel nicht erlauben.
Welche positive Wirkung versprechen Sie sich vom Kleinen Kiel-Kanal?
Der Kleine Kiel-Kanal, der im Herbst 2019 fertig werden soll, spielt für die Aufwertung der Innenstadt eine wichtige Rolle spielen. Die Innenstadt ist einfach ein Identitätsanker in Kiel. Jedem liegt etwas daran. Jeder hat eine Meinung dazu. Natürlich gibt es auch Kritik. Aber mein Eindruck ist: Die meisten sind mittlerweile für den Kleinen Kiel-Kanal. Es ist doch offensichtlich: Unsere Landeshauptstadt hat eine einzigartige Lage am Meer – und das sollte man stärker betonen. Wir wollen Kiel noch näher ans Wasser bringen.
Kiel noch näher ans Wasser bringen? Was meinen Sie konkret damit?
An der Hörn bekommen wir eine echte Flaniermeile. Es entstehen Wohnungen, Geschäfte und Restaurants. Darüber hinaus bekommen wir nächstes Jahr ein Theaterschiff und wollen auch noch mehr für den Museumshafen tun.
Im August soll das neue Terminalgebäude am Kieler Ostseekai mit öffentlich zugänglicher Außenterrasse fertig sein. Darüber hinaus veranstalten wir – mit Bürgerbeteiligung – einen städtebaulichen Wettbewerb für die Kiellinie. Sie hat ja schon viel dazu gewonnen. Im letzten Sommer konnte man oft das Gefühl haben: Kiel liegt am Mittelmeer.
Die Kieler „Heißzeit“!
Ja, da waren Tango tanzende Paare, junge Menschen die – verbotenerweise – in der Förde schwammen und danach einen Sundowner an der Fischbar tranken. Das war wunderbar! Doch die Uferpromenade muss dringend erneuert werden. Und wir wollen auch den Eingangsbereich der Kiellinie einladender machen. Ich kann mir zum Beispiel gut Treppen vorstellen, die ins Wasser laufen – so wie man das zum Beispiel aus Kopenhagen kennt. Aber ich will dem städtebaulichen Wettbewerb nicht vorgreifen. Und auch die Förde wollen wir noch erlebbarer machen – durch zusätzliche Angebote, sich auf dem Wasser zu bewegen. Auch ein größeres Seebad kann ich mir gut vorstellen. Allerdings dürfen wir bei all den Plänen eins nicht vergessen: Wir sind ein Wirtschafts- und Kreuzfahrerhafen. Die Arbeitsplätze im Hafen, bei den Kreuzfahrern und bei den Reedereien sind wichtig. Das müssen wir bei unseren Überlegungen mit einbeziehen.
Die Infrastruktur aufzuwerten ist das eine. Aber was ist mit dem Erlebnischarakter der Stadt?
Auch da hat Kiel enormes Potential. Am Tag der Eröffnung des Weihnachtsmarktes waren 70.000 Menschen in der Innenstadt. Und das an einem Montag. Die Kieler Woche ist eine Institution und lockt jedes Jahr rund drei Millionen Menschen an. Auch andere Events wie der Bauernmarkt, der Bootshafensommer oder das Duckstein Festival ziehen Publikum nach Kiel. Von solchen Veranstaltungen brauchen wir noch mehr. Wir haben in den Kieler Umschlag Geld investiert, um auch in der Nebensaison die Attraktivität der Innenstadt zu erhöhen. Wir ziehen viele Register – und ich gehe davon aus, dass wir mit Fertigstellung des Kleinen Kiel-Kanals im Herbst und neuen Läden wie dem Textilhändler Primark am Berliner Platz weitere Zielgruppen erschließen. Wir müssen nur noch stärker unsere Qualitäten kommunizieren.
Das werden auch bald die Eigner der Hotels tun, die sich neu in Kiel ansiedeln. Aber diese Neubauten haben auch Kritiker auf den Plan gerufen.
Das stimmt. Es gibt eine aktuelle Studie, die belegt, dass mit neuen Angeboten die Auslastung der Hotels zunächst sinkt, danach aber wieder ansteigt. Kleine Hotels, die in den letzten Jahren wenig investiert haben, werden es vermutlich schwerer haben. Doch der Wettbewerb hat auch etwas Belebendes. Das eine oder andere Hotel hat bereits investiert, zum Beispiel das Hotel Birke, der Kieler Kaufmann oder das Hotel Kieler Yacht Club. Ich setze auf die Unternehmer und Hoteliers, die sagen: Ich entwickle unser Angebot weiter und mache unser Haus attraktiver und zukunftssicherer. Aber dass wir mit den neuen Hotels bald wirklich genug Gäste-Betten in der Stadt haben, das glaube ich schon.
Apropos Betten: Beim bezahlbaren Wohnraum hat Kiel noch deutlich Luft nach oben, oder?
Bezahlbares Wohnen und die Vielfalt in den Stadtteilen – das ist schon so etwas wie eine Schicksalsfrage der Stadt in den nächsten Jahrzehnten. Wir haben viel für die Attraktivität der Stadt getan. Diese Qualität werden wir nur erhalten können, wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Und das setzt voraus, dass es bei uns in allen Segmenten keine Preisentwicklung wie beispielsweise in München oder Hamburg gibt. Aber nach zehn Jahren relativ stabiler Mieten gab es in den letzten vier Jahren beachtliche Zuwächse. In den letzten Jahren haben wir Baugenehmigungen für 4.000 Wohnungen erteilt, Personal in den Ämtern aufgestockt und die Kieler Ratsversammlung hat letzten September die Neugründung einer städtischen Wohnungsgesellschaft beschlossen. Die Gesellschaft soll Wohnungen errichten, erwerben, betreuen, verwalten und bewirtschaften. Geprüft werden soll die Organisationsform einer Genossenschaft mit der finanziellen Beteiligungsmöglichkeit aller Kieler Bürger. Wenn ich eine zweite Amtszeit bekomme, dann hat bezahlbarer Wohnraum weiterhin Priorität.
Stichwort Klimaschutz: Wird für Kiel in 2019 ein weitreichendes Fahrverbot kommen?
Ich komme gerade aus einer zweistündigen Besprechung mit unserem Rechtsanwalt. Ich sehe nach wie vor eine Chance, dass wir in Kiel um ein weitreichendes Fahrverbot herumkommen. Am Theodor-Heuss-Ring geht es nur um rund 190 Meter, auf denen die Schadstoffwerte so hoch sind. Wir haben gemeinsam mit Unternehmen mehrere Dutzend Maßnahmen auf den Weg gebracht – zum Beispiel Landstrom für die Kreuzfahrer, den Einsatz von Hybrid-Fähren sowie Hybrid- und vollelektrischen Bussen, den Aufbau eines Bike-Sharing-Systems, die Umstellung der Stadtflotte auf Hybrid- und E-Fahrzeuge. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen können, in einem überschaubaren Zeitraum die geforderten Grenzwerte wieder einzuhalten. Und falls wir es doch nicht packen, dann soll das Fahrverbot so wenige Fahrzeuge wie möglich und über einen möglichst kurzen Zeitraum betreffen. Und die Umwege, die die Autofahrer in Kauf nehmen müssen, sollten möglichst gering sein.
Sie und ihre Familie haben noch immer kein eigenes Auto?
Das stimmt. Ich habe noch nie ein eigenes Auto besessen. Aber ich bin Car-Sharing-Kunde. Das diszipliniert ungemein. Mein nächster Dienstwagen wird ein Hybrid- oder E-Fahrzeug bekomme. Ich will mit gutem Beispiel vorangehen.
Was viele Menschen in Kiel bewegt, ist auch die Ansiedlung der Höffner-Gruppe am Prüner Schlag. Inwieweit kommt Kiel da in 2019 einen Schritt voran?
Der Bürgerentscheid zur Ansiedlung von Möbel Kraft war ja am Tag meiner Wahl. Wegen der Kaufkraft, der Arbeitsplätze und der zu erwarteten Einnahmen durch die Gewerbesteuer habe ich mich für eine Ansiedlung eingesetzt. Die Höffner-Gruppe wird 2019 mit der Erschließung des Geländes beginnen und ab 2020 mit dem Bau. Dass dort nun nicht mehr ein Möbel-Kraft, sondern ein Höffner-Haus entsteht, ist die Entscheidung des Eigners Kurt Krieger, die wir hinnehmen müssen. Wenn wir Verlässlichkeit von seiner Höffner-Gruppe einfordern, dann dürfen die es auch von der Stadt Kiel erwarten – schließlich gibt es rechtsgültige Verträge.
Sie gelten als ruhiger, abwägender Kopf. Wann verlieren Sie die Fassung?
(überlegt) Ich bin schon ungeduldiger geworden in den viereinhalb Jahren meiner Amtszeit. Ich will Sachen heute schneller entscheiden als früher. Wir haben „jetzt goldene Gestaltungsjahre“ und wir wissen nicht, wann sich dieses Zeitfenster schließt. Aber zur Frage: Ich habe noch nicht so ein dickes Politikerfell. Wenn die Stadtverwaltung oder meine Mitarbeiter auf eine Art angegangen werden, die ich sachlich falsch finde, dann kann ich richtig grantig werden. Kritik ist in Ordnung. Aber es gibt auch polemische oder wissentlich unfaire Kritik. Unfairness regt mich auf.
Wie schöpfen sie Kraft?
Mit Joggen und Netflix (lacht). Und wenn ich Zeit mit meiner Familie habe.
Was wünschen Sie sich für 2019?
Von hoher Bedeutung für mich ist die Gründung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die die Renaissance des sozialen Wohnungsbaus deutlich machen soll. Und ich freue mich auf viele städtische Vorhaben, die fertig werden. Das markiert einen Epochenwechsel. Dazu gehören das Hörnbad (das dann ganz fertig wird), der ZOB, der Kleine Kiel-Kanal und das Gasheizkraftwerk, das Küstenkraftwerk K.I.E.L. Wir sind auf allen Ebenen der Stadtentwicklung gut unterwegs. Diesen Prozess würde ich gerne weiter mitgestalten. Deswegen hätte ich gerne noch für weitere sechs Jahre das Privileg, Oberbürgermeister Kiels zu sein.
Das Interview führte Michael Fischer